100 Jahre Neubau

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100 Jahre Schulhausneubau in der Sulzbacher Strasse [1911 - 2011]

Die Historikerin Dr. Martina Bauernfeind vor der Abbildung des ehemaligen Merkel'schen Anwesens, das samt seiner weitläufigen Gärten abgerissen wurde, um dem staatlichen Schulhausbau des "Alten Gymnasiums" Platz zu machen

"Habent sua fata scholae ..." dass auch Schulen ein eigenes Schicksal haben, wurde im Dialogvortrag von Dr. Martina Bauernfeind und Inés Pelzl anlässlich der Errichtung des Schulgebäudes an der Sulzbacher Str. 32 vor 100 Jahren einem sichtlich begeisterten Publikum am 17. November bildreich vor Augen geführt. Nach den herzlichen Grußworten von Direktor Otto Beyerlein und dem stellvertretenden Bürgermeister der Stadt Nürnberg, Dr. Klemens Gsell, ging die stadthistorische Hinführung von Martina Bauernfeind (Stadtarchiv Nürnberg) pointiert auf die Entwicklung des Stadtteils Gärten bei Wöhrd vom Gartenrefugium zum Industrievorort ein. Sie stimmte mit Karten, Luftbildaufnahmen und Photos der ehemaligen Merkel'schen Gärten samt einer Aufzählung der vielzähligen Gehölze in eben diesen auf die Baugeschichte und das städtebauliche Umfeld des Schulneubaus von 1911 ein. Man könne, so Bauernfeind, nach der Nutzung des Stadtteils Wöhrd als städtischer Grüngürtel um 1800 und als Kernzelle des Industriestandorts Nürnberg um 1850, nach dem Wegzug der MAN-Werke und den Neubauten von Schulen und (Fach)hochschule um 1900 von Wöhrd als Bildungsstandort sprechen.

Die Kunsthistorikerin Inés Pelzl erklärt das deutsch-nationale Bildprogramm des Schulneubaus von 1911

Die Kunsthistorikerin Inés Pelzl hinterfragte nun diesen Bildungsbau von 1911, der ganz im Sinne der Zeit die Vorrangstellung des humanistischen Gymnasiums als älteste und beste Bildungsstätte Nürnbergs in der Umbruchszeit der Moderne unter der Ägide der bayerischen Monarchie steinern manifestieren sollte. Die kapitolinische Wölfin als Wahrzeichen der Schule und eine Sternwarte für die Schüler als Hinweis auf naturwissenschaftliche Kompetenz sind weithin sichtbare Zeichen dieses Baus.

Bildreich und gleichsam als Schulung des genauen Sehens erläutert die Referentin das deutsch-nationale Bildprogramm unserer Schule, wenn die wehrhaft-trutzige Rustika des Untergeschosses, der antikisch-sakrale Eingangsbereich, die germanisch-antiken Reliefköpfe Goethe, Schiller, Homer und Sokrates nebst germanisch-antiken Helden wie Arminius und Caesar, sowie Götterplastiken von Wotan und Zeus in der Attikazone platziert werden. Kaum jemand im Raum hatte sich vor diesen kunsthistorischen Ausführungen von Inés Pelzl jemals Gedanken über die, die Naturwissenschaften deutlich abwertenden Flachreliefs im Eingangsportal gemacht, die der mit Attributen der Weisheit (Eule), Erhabenheit (gescheiteltes, verdecktes Haar) und Unsterblichkeit (pralle Pinienkerne) ausgestatteten Personifikation der alten Sprachen gegenübersteht und mit Zirkel und Polyeder hantierend aufgrund der wehenden Haare liederlich-jung, oder -durch die Schlange im rechten unteren Zwickel- sogar gefährlich wirken sollte.

Johannes Pelzl erläutert als Koreferent seiner Mutter anhand von Aufnahmen aus den Jahren 1936 und 2011 die zeitgebundene Ausstattung des Melanchthon-Gymnasiums. Hier sichtbar: die "gleichgeschaltete" Sitzecke des Lehrerzimmers 1936 im Kontrast zur demokratischen Funktionalität im Hier und Jetzt.

Mit einem, die Bezüge zur umgebenden Politik und Weltanschauung niemals vernachlässigenden, virtuellen Kontrastspaziergang durch das Haus von 1936 und 2011 beschloss Johannes Pelzl den interessanten und sehschulenden Vortrag seiner Mutter mit einem fulminanten Plädoyer zum Erhalt humanistischer Bildung.

Die beiden Schüler(innen)mütter, Martina Bauernfeind und Inés Pelzl, haben sich bleibende Meriten um das Schulgedächtnis erworben und dem, auch den letzten Platz der Aula füllenden Publikum anschaulich-prägnant Auskunft über Standortwahl und Bauprogramm unserer nunmehr 100-jährigen Schule gegeben. Dank dafür!  


Dr. Martina Switalski