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Inszenierung 2006 - Susan Sontag: Alice im Bett

„Was ich meistens tue, ist, nichts zu tun“: „Alice im Bett“ von Susan Sontag (1991)

 

London, Ende des 19. Jahrhunderts: In ihrem Schlafzimmer hat sich Alice in ihr Bett zurückgezogen und widersetzt sich den erfolglosen Bemühungen ihrer Krankenschwester und Freundin, sie in das gesellschaftliche Leben zurückzuführen. Alice bleibt liegen und reist in ihren Gedanken zu vergangenen Familienmitgliedern und erwünschten Orten, die sie in der Wirklichkeit so klar nicht hätte erreichen können: ein Sieg der Imagination.

So erinnert sie sich an eine Begegnung mit ihrem Vater, den sie um Erlaubnis bittet, sich umbringen zu dürfen. Mit wenigen Bedenken bitte er sie nur darum, den Suizid behutsam durchzuführen, damit die Hinterbliebenen nicht zu sehr betrübt werden. 

Ein Treffen mit bedeutenden Frauengestalten des 19. Jahrhunderts sowie der Gralsbotin Kundry bietet in der Vorstellungswelt der hochsensiblen Intellektuellen Trost und Rat. In einem vortrefflichen Monolog bereist sie Rom, wo sich Gegenwart und Vergangenheit begegnen. Ein Teil der Realität dringt letztlich mit einem jungen Einbrecher in ihr Schlafzimmer ein.

 

Das erste Theaterstück der berühmten amerikanischen Autorin und Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels, ein Stück über Frauen und über die Kraft der Vorstellung.

 

Gedanken eines Theaterpädagogen zur Vorstellung "Alice im Bett"

 

"Als Theaterpädagoge sieht man viel Theater von Schülern. Sehr viel. Vielleicht mehr als sonst irgendjemand. Die Erwartungen sind nicht immer sehr hoch, denn häufig erlebt man viel Text und viel weniger Spiel. Völlig anders bei der Vorstellung von "Alice im Bett" des Melanchthon-Gymnasiums: Ein hoch intelligenter, wunderbar melancholischer und trotzdem von einer seltsamen Leichtigkeit getragener Theatertext, der besonders als Essayistin bekannt gewordenen, unlängst verstorbenen amerikanischen Star-Autorin Susan Sontag, einer der schärfsten Kritikerinen der Bush-Regierung.

Ein Stück, das sich biographischer Momente von Alice James, der unbekannten Schwester des berühmten amerikanischen Schriftstellers Henry James annimmt und das neben der Beschäftigung mit - zum Teil sehr tragischen, zum Teil aber auch wunderbar tragi-komischen - Stationen des Familienlebens aus der Sicht von Alice verschiedene literarische Figuren zusammenführt: So trefffen in einer wunderbaren Szene bei einer "Tee-Gesellschaft" (neben Tee wird vor allem Opium konsumiert)die Lyrikerin Emily Watson, Kundry aus "Parsifal" und die Frauenrechtlerin Margaret Fuller auf Alice James. In einem schönen Gedankenspiel entspinnen sich Dialoge und Konflikte, die um die Position der Frauen in ihrer jeweiligen Gesellschaft und in ihrer Zeit kreisen und die die Möglichkeiten zur Veränderung hinterfragen.

 

Wie intenisv sich in der Inszenierung "Alice im Bett" des Melanchthon-Gymnasiums die Schüler an ihren Rollen abarbeiten und ihren Figuren eine Plastizität und Vitalität verschaffen, wie lebendig und hautnah der nicht einfache Text umgesetzt wird, wie gekonnt komische Momente mit äußerst bewegenden verschränkt werden und dennoch die Gefahr eines plumpen Betroffenheitstheaters genau so umschifft wird wie die eines Abdriftens in die Klamotte, das hat mich sehr beeindruckt und habe ich bisher im Schülertheater noch selten erlebt.

 

Die Leistung der jugendlichen Darsteller und der Regie ist noch höher einzuschätzen, wenn man sieht, dass die meisten Darsteller in unterschiedlichen Rollen auf der Bühne zu bewundern sind und wenn man dann fest stellt, dass es ihnen gelingt, jede einzelne Figur mit Liebe und Können zu zeichnen, wenn man bemerkt, mit welcher Körperlichkeit und gedanklicher Klarheit die Figuren zum Leben erweckt werden, wie viel Spielfreude bei den Darstellern gezeigt wird und vor allem, wie wundervoll die Darsteller miteinander spielen - auch das bei weitem keine Selbstverständlichkeit (leider auch nicht immer im professionellen Theater).

 

Ein einfaches, sehr wirkungsvolles Bühnenbild, in dessen Zentrum das Bett von Alice steht - mehrmals in Windeseile von den Darstellern selbst in beeidruckender Team-Arbeit (auch hieran bemerkt man den Geist einer funktionierenden Theaterarbeit) umgebaut - das den Zuschauer auch optisch in seinen Bann zieht, rundet einen durchweg gelungenen Theaterabend ab, der mir noch sehr lange in Erinnerung bleiben wird."

 

Johannes Beissel, Theaterpädagoge (Theater Fürth)