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Vortrag: "Flüchtlingsschutz - eine globale und lokale Herausforderung"

Frau Dipl. Sozialwirtin Uta Rieger

Vortrag: "Flüchtlingsschutz - eine globale und lokale Herausforderung" von Uta Rieger vom UNHCR am 2.12.2014

Die Flüchtlingszahlen weltweit steigen, auch in Deutschland suchen immer mehr Menschen Schutz vor Verfolgung. Deshalb fand am 2.12.2014 auf Einladung der Fachbetreuung Sozialkunde ein öffentlicher Abendvortrag in der vollbesetzten Box statt, den viele Schüler und Schülerinnen, Eltern, Lehrkräfte sowie weitere Interessierte nutzten, um sich über das aktuelle Thema durch eine Expertin zu informieren. Der Vortrag von Dipl. Sozialwirtin Uta Rieger von der Zweigstelle des UN-Flüchtlingshochkommissars (UNHCR) in Nürnberg (angesiedelt am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) behandelte folgende Themen:

Was sind die Gründe, warum Menschen ihre Heimatländer verlassen, was erleben die Menschen auf ihrer Flucht nach Europa? Warum machen sich oft Kinder und Jugendliche alleine auf den Weg, um in Europa Schutz zu suchen. Welche Regelungen gibt es auf europäischer Ebene und wie sehen die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Deutschland aus? Wie ist das Asylverfahren in Deutschland gestaltet und wer erhält letztlich Schutz in Deutschland?  

Diese und weitere Fragen aus dem Publikum beantwortete Frau Rieger sehr umfassend und ging dabei insbesondere auf die Situation von unbegleiteten jugendlichen Flüchtlingen ein. 

Heike Hessenauer (OStRin), Fachbetreuung Sozialkunde

Wer sich genauer informieren möchte, findet weitere Details zu den Inhalten dieses Abends im nachfolgenden Protokoll.

 

 

Gekürztes Protokoll des Studienreferendars Benjamin Rath zum Vortrag: „Flüchtlingsschutz – eine globale und lokale Herausforderung“

Frau Dipl. Sozialwirtin Uta Rieger von der Außenstelle des UNHCR in Nürnberg, die am Bundesamt für Migration angesiedelt ist, erklärte an diesem Abend zunächst die Aufgaben des seit 1950 bestehenden UNHCR. Grundlage der Arbeit des UNHCR ist die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, die u.a. festlegt, wer als Flüchtling gilt und welche Rechte die entsprechende Person erhält. Während der UNHCR in vielen Ländern konkrete Flüchtlingsarbeit leistet (z.B. Zeltstädte errichten), ist die Aufgabe in Deutschland viel theoretischer und juristischer angelegt. Hier liegt der Fokus darauf, die Vereinbarkeit mit deutschem Recht zu prüfen und Verhandlungen mit der Regierung des Landes zu führen.
Anschließend präsentierte die Referentin Zahlen zu den weltweiten Flüchtlingsbewegungen. Insbesondere für den Bereich „Naher Osten“ ist aufgrund des gegenwärtigen Vorrückens des Islamischen Staates (IS) in Syrien und dem Irak ein rapider Anstieg zu verzeichnen. Die Hauptaufnahmeländer von syrischen Flüchtlingen sind Ägypten, Jordanien, Libanon, Türkei und der Irak. Zu den momentan auf der Flucht befindlichen Menschen gibt es keine belastbaren Zahlen. Den Weg nach Europa fanden ca. 70.000  der infrage stehenden Gruppe (Stand erstes Quartal 2014). Nach Deutschland gelangen nach Aussage der Referentin gerade einmal 15.000 Asylsuchende oder 45.000 Flüchtlinge.
Bei den Aufnahmeländern steht Pakistan mit 1.6 Mio. aufgenommenen Flüchtlinge im Verlauf der letzten 20 Jahren an der Spitze vor dem Iran, dem Libanon, Jordanien, der Türkei und Kenia, das allein 500.000 somalische Flüchtlinge beherbergt. Der Weg nach Europa ist riskant. Nach Deutschland beispielsweise können Flüchtlinge legal eigentlich nicht gelangen, da es nur Besuchs- und Arbeitsvisa gibt. Zudem ist zu konstatieren, dass eine Flucht immer gefährlicher wird, je weniger Geld der Flüchtling zur Verfügung hat. Eine Einreise via Flugzeug wird immer weniger wahrscheinlich, da die Grenzkontrollen zunehmend verbessert wurden. Daher bleibt häufig nur der Weg über das Mittelmeer. Dieser ist aber meist mit traumatischen Erlebnissen verbunden, die sich in den letzten Jahren (Zeitraum 2000-2014) auffallend häufen. Auch ist hier explizit die Prostitution zu nennen, über die Geld für die Schlepper organisiert wird.
Mit „Re-Settlement“ bezeichnet man die dauerhafte Neuansiedlung besonders vulnerabler Flüchtlinge in einem zur Aufnahme bereiten Drittstaat, der ihnen vollen Flüchtlingsschutz gewährt und ihnen die Möglichkeit bietet, sich im Land zu integrieren. Australien und die Vereinigten Staaten stellen diesbezüglich die meisten Kontingente. Im Falle von Deutschland beschränkt sich die Zahl derer, die von diesem Programm profitieren, auf 300. Nach Aussage der Referentin ist diese geringe Zahl aber nicht negativ zu werten, da eine gute Einarbeitung in diese Thematik zunächst einmal von Vorteil ist. Deutschland hat aber auch einem humanitären Aufnahmeprogramm für insgesamt 20.000 Syrer stattgegeben, wenn diese Verwandte in Deutschland haben. Die Bundesländer dürfen hier auswählen, wer kommen darf und wer nicht. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die Antragszahl dreimal höher war als die zur Verfügung stehenden Plätze. Dies stellt eine große Belastung für die hier ansässigen Verwandten der Betroffenen dar.
Die Zahl der Antragsteller in Deutschland ist in den Jahren von 2004 bis 2014, und v.a. Seit 2011, deutlich gestiegen. Gründe hierfür sind vor allem in den Hauptherkunftsländern zu suchen. Bei diesen handelt es sich um Syrien, Eritrea, Afghanistan, Irak, Serbien, Mazedonien und Bosnien Herzegowina. Die Antragsteller der drei letztgenannten sind primär den Roma zuzuordnen, die häufig nicht als Flüchtlinge anerkannt werden, obwohl sie in vielen Fällen unter äußerst prekären Umständen leben. Dies ist aber für das Bundesamt für Migration und die Gerichte keine ausreichende Begründung für eine Aufnahme, auch wenn eine Diskriminierung der in Frage stehenden Gruppe in eine Verfolgung umschlagen könnte. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sieht man diesbezüglich keinen Handlungsbedarf.
Anschließend lenkte die Referentin die Aufmerksamkeit der Anwesenden auf die Anerkennungsquote bzw. Schutzquote. Flüchtlinge aus Syrien (100%), Eritrea (99%), Irak (83%), Somalia (74%) und Afghanistan (68%) haben eine außerordentlich hohe Anerkennungsquote, was aber auch mit der Situation in den entsprechenden Ländern erklärt werden kann, wiewohl auch bei den syrischen Anträgen 450 Entscheider für über 200.000 Asylanträge zuständig sind. Ganz anders sehe es in den Balkanstaaten aus, deren Anerkennungsquote bei 0%-3% liege.
Danach erläuterte die Referentin das Asylverfahren in Deutschland. Asyl nach dem Grundgesetz erhalten lediglich 2-3% der Asylsuchenden, weil es in Art. 16a (2) GG heißt, dass sich ein politisch Verfolgter nicht auf das Asylrecht berufen kann, wenn er „aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist“. Das bedeutet, dass es defacto nur zum Tragen kommt, wenn eine Einreise mit dem Flugzeug stattgefunden hat, weil gemäß dem Dubliner Abkommen innerhalb der EU die sogenannte Drittstaatenregelung gilt, welche bedeutet, dass in dem Land Asyl beantragt werden muss, in welchem der Flüchtling zuerst ankommt. Bei anderen Fällen greift aber die Genfer Flüchtlingskonvention. Auf der Basis des Grundgesetzes sind dies 30% der Flüchtlinge, die durch eines der beiden Systeme abgedeckt werden. Für den Flüchtling hat es mithin aber keine Bedeutung, da beide Systeme gleichwertig sind. Außerdem gibt es noch subsidiären Schutz, der sich an europäischen Richtlinien orientiert und zum Einsatz kommt, wenn die Flüchtenden von Todesstrafe, Folter oder dergleichen bedroht sind. Dabei handelt es sich um einen Status, der für die Flüchtlinge relativ gut ist. Darüber hinaus gibt es noch Abschiebungshindernisse, die eine Duldung zur Folge haben und aus Sicht der Flüchtlinge den schlechtesten Schutz darstellen, wobei der Status i.d.R. immer verlängert wird. […]
Die Aufnahmebedingungen für Asylsuchende in Deutschland seien gerade bei einer Unterbringung in entlegenen und teils provisorischen Gemeinschaftsunterkünften ungünstig, weil sie kaum Rückzugsmöglichkeiten für die Betroffenen bieten. Zudem beklagt sie die fehlende Tagesstruktur, die Residenzpflicht, eine zu geringe Betreuung durch Sozialarbeiter,  lange Asylverfahren, eingeschränkte Gesundheitsversorgung sowie eingeschränkte Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten.
In der Gesprächsrunde, die sich nach diesem sehr aktuellen Vortag anschloss, wurden viele Fragen gestellt, wie z.B. nach den Kommunikationsmöglichkeiten mit den Flüchtlingen und Asylsuchenden. Aufgrund mangelnder Finanzierung können kaum Dolmetscher eingesetzt werden.  Häufig werden Kinder, die schon etwas Deutsch gelernt haben, oder jemand, der auch Englisch sprechen kann, hinzugezogen. Wer Asyl bekommt, darf sich eine eigene Wohnung suchen, erhält Sozialleistungen, einen Pass und eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis, darf aber nicht an Wahlen in Deutschland teilnehmen.
Die Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer erfolgt nach Wirtschaftskraft und Einwohnerzahl. Hier verwies die Referentin darauf, dass die bayerische Regierung sich frühzeitig unter Einbeziehung der Kommunen um mehr Unterbringungsmöglichkeiten hätte kümmern müssen. Auch wenn in Bayern mehr unbegleitete Minderjährige als in anderen Bundesländern aufgenommen werden, so berührt dies nicht die Unterbringung an sich. Wer helfen will und sich als Begleitdienst für Behördengänge, Hausaufgabenbetreuung, Dolmetscher anbieten möchte oder auch Sachspenden (insbesondere Fahrräder) geben möchte, kann als erste Anlaufstelle bei der Stadt 0911/231-69 38 anrufen. Für ehrenamtliche Professionelle gibt es zudem die Helferpforte, die unter der Telefonnummer 0911/530 11 13 oder via E-Mail (helferpforte@kvnuernberg-stadt.brk.de) zu erreichen ist.
Unbegleitete Minderjährige fallen in die Zuständigkeit des Jugendamts und werden von der Kinder- und Jugendhilfe oder in Cleering-Einrichtungen betreut. Hier spielen vor allem Fluchtgeschichte, Bedarf, schulische Historie und Familie eine wichtige Rolle bei der Festlegung des Hilfebedarfs. Der Prozess ist auf drei Monate veranschlagt, bevor die Kinder (im besten Falle) in eine Pflegefamilie kommen. Bis zu ihrem 18. Lebensjahr wird dem Flüchtlingskind auch kein Status gegeben. Erst mit der Volljährigkeit ändert sich dies. Zu diesem Zeitpunkt rutscht das Kind in der Regel in das Asylverfahren und muss Anhörungen durchlaufen. Hier ergibt sich häufig ein Beweisnotstand, denn der inzwischen Volljährige muss oft, um einer Abschiebung zu entgehen, nachweisen, dass ihm/ihr bei einer Abschiebung Gefahr drohe, da ja schließlich keine „Folterzertifikate“ vergeben werden; ein Verfahren, an dem viele Jugendliche scheitern. Die Bearbeitung eines Falls eines unbegleiteten Jugendlichen dauert in der Regel 20 Monate. Wenn ein betroffener Jugendlicher einen Schulbesuch oder ein Ausbildungsverhältnis nachweisen kann, darf er/sie aber zumeist bleiben. An dieser Stelle ist aber die Unterstützung durch die Schule immens wichtig. Bei älteren unbegleiteten Jugendlichen besteht eine Berufsschulpflicht, die insofern problematisch ist, als es hier keine Sozialarbeiter gibt, die aber häufig aufgrund der Historie der Personen nötig wäre. Zudem hatten manche – je nach Herkunft – mit 15 noch nie eine Schule besucht. Wenn jemand aus Syrien stammt, ist die Person mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ganz normal zur Schule gegangen. Anders sieht es mit Menschen aus Afghanistan und Somalia aus, bei denen dies eher unwahrscheinlich ist. Daher rührt auch die Forderung von Frau Rieger, bei einem Besuch einer deutschen Schule nicht nur auf die sprachliche Komponente im Lernprozess zu achten.