Detail Austausch

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Israelis in Nürnberg

Wir tauschten Schüler, aber auch Weltbilder aus

Der Gegenbesuch unserer Jerusalemer Freunde vom 13. bis 21. Oktober 2014 in Nürnberg war von den besonderen politischen Spannungen des Gaza-Kriegs im Sommer 2014 überlagert. Ich hatte mit meinen Schülerinnen und Schülern in den acht Monaten zwischen Februar und Oktober 2014 immer wieder den Kontakt gesucht, um zu erfahren, was ihnen aus Israel zu Ohren gekommen war. Uns schockierte mit Ausbruch der Kriegshandlungen die Gewalt, die Angst vor Gewalt und die Haltlosigkeit im internationalen Suchen nach einem Ausweg. Dennoch intensiviert diese Angst auch die Vorfreude, die unterschwellig mit der Gewissheit verbunden war, dass unsere Freunde hier durchschnaufen können, eigentümlich behütet sind in einem Land, dessen kriegerische Spur vor rund 70 Jahren ganz Europa zerstückelt hatte, das aber nun zu einer sicheren Rückzugszone für kriegsmüde Israelis werden konnte. Oren Lallo, der Projektleiter von der Sieff&Marks School Jerusalem, sprach lakonisch und in seiner Art unaufdringlich von einem „difficult summer“, den er und seine Schüler im Gegensatz zu den urlaubsgetränkten deutschen Partnern verlebt hatten.  Der Krieg blieb eine feste Konstante in den Gesprächen und im historischen Konzept dieses Austausches. Wie schon bei der Jerusalemer Fahrt waren auch beim Gegenbesuch in Deutschland völkerverständigende Annäherung, historische Aufarbeitung und künstlerische Umsetzung (inter)nationaler Werte im Fokus der workshop-Arbeit vorgesehen.

 

Beim „get together“, das in Israel unvergesslich schön am Toten Meer und in En Gedi stattgefunden hatte, setzten wir im hiesigen Programm auf die Schönheit des belaubten Herbstes und hatten Spaß beim Wasserballlaufen auf dem Wöhrder See und im Betzensteiner Klettergarten in der Fränkischen Schweiz.

 

Die historische Anschauung und Diskussionsgrundlage für nationale Stereotypen bot das ehemalige Reichsparteitagsgelände in seiner ganzen Ausdehnung und musealen Vertiefung der Holocaust Education, deren Beginn wir im Yad Vashem gesetzt hatten. Unsere israelischen Gäste waren von der Megalomanie der NS-Architektur ebenso negativ fasziniert wie von der vermeintlichen Präsenz des Führers auf seiner nach ihm benannten Kanzel am Zeppelinfeld vereinnahmt. Diese beiden Tage brachten durchaus auch für die deutschen Gastgeber Einsichten in das schwierige Erbe, das unsere Stadt zu schultern hat.

Ein Weg der Vergangenheitsbewältigung der Stadtverwaltung lag in der Gründung des Menschenrechtsbüros, das am vierten Tag den Rahmen eines nur von den israelischen Schülerinnen und Schülern besuchten workshops bot. In der Muttersprache konnte dort über Gerechtigkeit und Verletzungen der Menschenwürde im eigenen Land gesprochen werden - ein geschützter Rahmen, der oft mühelos die Brücke vom historischen Unrecht zum aktuellen schlug. Der nächste Tag in München war zugegebenermaßen verregnet, wurde aber vollends von der empfangenden Wärme aufgefangen, die uns bei der Einladung der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg und im Haus der Familie Feldmann zum Kabbalat Shabat am Freitagabend umgab.

 

Neben den workshops und historischen Exkursionen kam das Zwischenmenschliche nicht zu kurz. In guter Gemeinschaft und von diversen Abendveranstaltungen schon etwas ermattet fuhr die Gruppe am Samstag dem historischen Höhepunkt des Austausches entgegen. Für uns Lehrkräfte, Oren Lallo und mich, war dieser Tag bedeutungsvoll, weil wir das sehr ungewohnte, da politisch kaum gewollte Experiment eines deutsch-israelischen Holocaustgedenkens mit den Schülern vorbereitet hatten. Wir Deutschen standen der Gedenkroutine der israelischen Gäste anfangs einigermaßen ratlos gegenüber, denn wir konnten selbstverständlich keines ihrer nationalen Symbole oder rituellen Gebete benutzen, keine Flagge, keine Hymne, kein Holocaustgebet. Aber wir fanden Gedichte, etwa Wisława Szymborskas „Hass“ oder Primo Levis „Was ist ein Mensch?“, die uns halfen über die Vernichtung der europäischen Juden durch den rassistischen Hass nachzudenken und sprachen diese Worte in Ivrit und Deutsch. Auch legten wir Gedenksteine nieder, die wir bereits in der judäischen Wüste im Februar gesammelt und mit eindrücklichen Worten unserer Begegnung beschrieben hatten. Ein gemeinsamer Kranz der Sieff&Marks School und des Melanchthon-Gymnasiums ziert nun die jüdische Gedenkstätte in Flossenbürg. Ein Zeichen unserer gemeinsamen Erinnerungsarbeit, deren Wert sich immer erst in der gemeinsamen Gegenwart erweist.

 

Der Sonntag war Familientag und wurde ganz individuell begangen, bevor die letzten beiden gemeinsamen Tage der Kunst gewidmet wurden. Unter Thomas Mays kundiger Führung erbaute man das Zwillingsprojekt eines „hortus conclusus“ im Lesegarten des Melanchthon-Gymnasiums. Und wo viele Helfer walten, stimmgewaltig die Einweihungszeremonie von Johannes Roth vorbereitet wurde, da ließ auch das gute Ende nicht auf sich warten. Als am Dienstagnachmittag vor den versammelten Eltern und der Schulfamilie das Graskunstwerk mit seinen fünf Kopföffnungen im Beisein der Presse „enthüllt“ wurde, spürten die Anwesenden in den reflektierenden Reden der Schüler und Schülerinnen durchaus den besonderen Geist dieses Austauschs. Genährt von der jugendlichen Neugierde aufeinander wurden hier historische Gräben einfach weggesungen. „We are young“ und unser von Johannes Roth komponierte Austausch-Schlager „Shalom. Möge Friede mit uns sein“ bildeten den sinnfälligen Abschluss einer Begegnung zwischen Welten und historischen Abgründen. Der tränenreiche Abschied der Jugendlichen zeigte aber auch die Macht der Gefühle  - wenn man Begegnungen einfach nur ermöglicht und zulässt.

 

Martina Switalski