Spiegel des Bewusstseins: „Komödie der Eitelkeit“ von Elias Canetti (1933)
Die ‚Komödie’ beginnt damit, dass die Regierung den Menschen ihre Eitelkeit – in gewisser Weise also eine Form der Individualität und Selbstliebe – untersagen will. Ein allumfassendes Spiegel- und Bilderverbot soll die Bürger unter Androhung höchster Strafen davon abhalten, ihre geistige Kraft in sich selbst zu investieren. Repräsentative Vertreter unterschiedlicher Gesellschaftsschichten, vereint in ihrem Obrigkeitsgehorsam, treffen bei einer öffentlichen Verbrennung aller Bilder und Spiegel aufeinander.
Der zweite Teil gewährt Einblicke in das spiegellose Leben, das bei den Menschen sowohl in psychischer als auch in sozialer Hinsicht im Verlauf von zehn Jahren deutliche Spuren hinterlassen hat. Verrat, Identitäts- und Sprachverlust sowie kriminelle Versuche, sich zur Selbstbespiegelung Zugang zu verschaffen, bestimmen den Alltag.
Wiederum zehn Jahre später wird die Notlage der sich mittlerweile autistisch gebärdenden Menschen kommerziell ausgenutzt: Illegale Spiegelkabinen bieten die Möglichkeit sich selbst zu betrachten. Vage Erinnerungen an die Zeit vor dem Verbot werden wach und führen zu einem Aufruhr, in dem die Bürger von ihrem aufgestauten Narzissmus überwältigt werden. Eine Wiederaufnahme der Kommunikationsfähigkeit und die Rückkehr zu einer angemessenen Selbstliebe scheinen dennoch unerreichbar.
Der Nobelpreisträger Canetti verfasste im Jahr der ‚Machtergreifung’ Hitlers eine Gesellschaftssatire, die losgelöst vom zeithistorischen Kontext dem Zuschauer Einblick in massenpsychologische und totalitäre Phänomene bietet.
Aufführung: 13. März und 22. März 2006
Leitung: Marcus Spangehl